Bergbäuerin (Biomilk AG)
Gedanken einer Bergbäuerin
Der Absatz von Milchersatzprodukten wächst gerade im Biobereich rasant. Im Berggebiet ist aber Milch oft die einzige regionale Ressource.
Andrina richtet sich auf und blinzelt in die Abendsonne. Die Bergspitzen werfen ihre Schätten fast bis zum Garten vor ihrem Engadiner-Haus. Die Milchkühe begehren Einlass vor dem Stall, doch noch will sie die letzte Reihe Krautstiel fertig jäten. Andrina weiss, dass ihr der karge Boden und der kurze Sommer keine grosse Ernte bringen werden. Aber aufs eigene Gemüse verzichten möchte die Biobäuerin trotzdem nicht. Denn regionales Gemüse wird im einzigen Laden im Tal nicht angeboten. Hier Gemüse für den Handel zu produzieren, rentiert nicht. Zu steinig und steil sind die Flächen und zu kurz die Vegetationszeit. Gut hingegen wächst Gras. Und den höchsten Ertrag aus diesem Viehfutter erwirtschaftet Andrina aus der Milch. Darum geht’s nun ab in den Stall.
Wie Andrinas Hof produzieren 40 Prozent aller Schweizer Landwirtschaftsbetriebe im Berggebiet. Milch oder Fleisch aus Gras ist oft die einzig wirtschaftliche Produktion. Dabei sind die Bergbauern auch auf Käserei- oder Molkereibetriebe angewiesen. Sie bilden das Rückgrat der Berglandwirtschaft, indem sie nicht nur den Bäuerinnen und Bauern Absatz für Milch bieten, sondern Arbeitsplätze schaffen und den touristischen Regionen ein kulinarisches Gesicht verleihen. Das Berggebiet in seiner jetzigen Form ohne Wiederkäuer, die aus Gras Milch oder Fleisch herstellen: Undenkbar! Die Kultur der Rindviehhaltung prägt Landschaft und Menschen seit Jahrhunderten.
Andrina denkt während des Melkens über die Entwicklung der Milchersatzprodukte nach, über die sie in der Bauernzeitung gelesen hat: In den letzten fünf Jahren hat sich im Schweizer Markt der mit pflanzlicher Milch generierte Umsatz mehr als verdoppelt. Milch aus Mandeln und Käse aus Cashew-Nüssen sind nicht nur ein Foodtrend - Milchersatzprodukte sind ein eigentlicher Biotrend: Über 40 Prozent dieser Produkte gehen mit einem Biolabel über die Ladentheke. Insbesondere bei den Biokonsumenten sind also Milchersatzprodukte beliebt.
Nicht, dass Andrina pflanzliche Produkte grundsätzlich schlecht fände, aber sie als Bergbäuerin kann ihren Kunden schlicht keine Alternativen zur Kuh- oder Ziegenmilch bieten. Und wenn all die Wanderer, Biker und Tourenfahrer nur noch Cashew-Käse essen und Mandelmilch trinken, dann wandern sie bald durch eine Landschaft, in der Wald die Alpweiden, Maiensässe und Bergbauern verdrängt hat. Und im einzigen Laden im Tal werden dann nicht nur das Gemüse, sondern auch Milch und Käse bzw. deren Ersatzprodukte aus dem Unterland angeboten. Andrina will es nicht so weit kommen lassen. Sie schreibt einen Brief an den grössten Biohändler in der Schweiz: «Ich richte mich auf und blinzle in die Abendsonne…»